Wenn ich die Worte «ein kleines Dörfchen» mit Afrika kombiniere, dann werden sofort tief schlummernde Bilder wachgerufen. Ich sehe ein Dorf mit runden kleinen Lehmhütten, die Strassen sind nicht geteert und die Leute sind nur leicht bekleidet. Woher stammt diese visuelle Kraft?

Postkarte: Archivmaterial der Bethlehem Mission, 1939
‚Die vier ersten Missionsbrüder Bethlehems; Aussendung 23. Juli 1939; Michael Zwyssig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In meiner Kindheit erweckten die weitergegebenen Erzählungen meines Grossonkels, der für 60 Jahre als Bruder der Mission Immensee in Zimbabwe lebte, mein Interesse für Kultu- ren und Länder. Die mit Details angereicherten Geschichten wurden von meiner Verwandt- schaft und schliesslich auch von mir über Generationen weitererzählt, keiner dieser Erzähler war jedoch jemals in Zimbabwe. Diese romantisierenden Bilder von Afrika habe ich während der Recherche im Archiv der Mission Immensee zu tausenden tatsächlich vorgefunden. In der Sammlung dieser Zeugnisse wie Fotogra en, Dias, Tonbildschauen, Medientexte und Tonspuren ist jeder Lebensbereich vertreten. Es gibt kaum ein Thema, das bei der Missionie- rung Afrikas unbeachtet blieb. Die Lebensgewohnheiten der Einheimischen wurden erforscht, die Natur untersucht, sowie die Sprache gelernt und in Schrift umgewandelt. Alles wurde unter die Lupe genommen und fand den Weg ins Archiv. Das Christentum hat sich in allen Lebensbereiche zu etablieren versucht und marginalisierte die einheimische Bevölkerung im eigenen Land, machte sie zu «den Anderen», das erfasst, erforscht und letztlich im Sinne der Mission assimiliert werden sollte.

Archivmaterial der Bethlehem Mission, um 1960

In einem einzigen Bereich gelang jedoch die Durchsetzung des Christentums gegenüber hei- mischen Bräuchen nicht: der Ahnenverehrung (siehe auch Kurova Guva). Die Ahnen stehen bei den Bantuvölkern an erster, oberster Stelle. Sie bestimmen das Leben im Alltag und im Jenseits. Mit welchen Mit- teln kann ein einzelner Gott diese Ahnen ersetzen?

In intensiver Forschung und schier endlosen Sitzungen suchten die Missionare von Immensee nach einer Strategie der Durchdringung dieser Rituale. Doch je mehr sie über das Ahnen- system in Erfahrung bringen konnten, desto komplexer wurde dieses Vorhaben. Schliesslich wurden die Forschungen zur Ahnenverehrung eingestellt und die «Adaption» dieser Rituale ins Christentums aufgegeben. Die Tür zur Ahnenwelt dieser Religionen ist und bleibt für die nicht afrikanische Gesellschaft verschlossen. Der Versuch, die Ahnenverehrung zu erforschen und in «weisses» Wissen umzuwandeln, misslang.Die Differenzen bestehen bis heute und bilden für beide Seiten einen höchstens halbdurchsichtigen Vorhang.

Das umfassende Archivmaterial aus der Zeit der Missionierung Zimbabwes ist ein Rezipient für das Vorhaben, Mensch und Kultur dieses Landes zu verstehen. Doch mit welchen Wor- ten und Bilder würden wir Schweizer uns als Schweizer in der Schweiz beschreiben? Sie wären wohl mannigfaltig, die Realität müsste ktiven Bildern Platz machen. Die Brüder und Priester jener Zeit entschieden sich auch aus Interesse an anderen Kulturen für die Aufgabe der Verbreitung des Christentums. Ihre Arbeit bot ihnen Reise- und Bildungsmöglichkeiten, die damals nur eingeschränkt zugänglich waren. Die Beschreibungen ihrer Arbeit und ihres Lebens gelangten nach Immensee in ihr Mutterhaus. Damit dieses Leben fernab der Heimat nachvollzogen werden konnte, mussten Differenzen kreiert und hervorgehoben werden. Dies konnte nur mit einem normativen Filter geschehen. Der reale Alltag in Zimbabwe musste zu- sammengefasst, gebündelt und geordnet werden. Diese Assimilation entstand nicht aus sich heraus, sondern sollte einem schon bestehenden Afrika-Bild gerecht werden. Es entstand eine nonverbale Übereinkunft zwischen den Brüdern in Zimbabwe und der Bevölkerung in der Schweiz, wie Zimbabwe sein soll, reales Leben wich einer Fiktion.

Unser Wissen und unsere Bilder Afrikas basieren folglich auf Geschichten einer konstruierten Realität, die in Institutionen wie dem Archiv gesammelt und aufbewahrt werden.